Eine große Abschiedsparty für den italienischen Horrorfilm: In den kommenden Wochen würdigen wir das verkannte Werk von Lamberto Bava mit einer Retrospektive. Eine Einführung von Christoph Daxtra zu einem Kino zwischen Genre-Klassizismus und Postmoderne.
Zwei Orte sind es, zu denen die Gedanken eilen, wenn man an die Filmografie des 1944 geborenen Lamberto Bava denkt (im weiteren Verlauf ist mit Bava immer der Jüngere gemeint): eine Gruft und eine Villa. Die Villa: ein feudaler Designerkoloss, der die Form des Films, der sich in ihr einnistet, fast zwangsläufig mitbestimmen muss. Die Gruft: ein feuchtkaltes, muffiges Sandsteingewölbe, das dem Narrativ des Films, der in ihr parkt, unweigerlich ökonomische Höchstleistungen abverlangt. Aus dieser Gruft erhob sich in den späten 1950er Jahren der italienische Horrorfilm nach heutiger Definition, und in diese Gruft kehrte er in den späten 1980er Jahren wieder zurück – nachdem er in den Augen der Industrie und des Massenpublikums seine Schuldigkeit getan hatte. Dies ist, wenn man so will, die Aufgabe, der die Filme von Lamberto Bava nachkommen, mal frech, mal pflichtschuldig: zu bestatten, was zu bestatten ist, und neu zu benennen, was bleiben wird. Mit Blick auf die heutige, weltweite Popularität italienischer Filmgrüfte kann man konstatieren: Seine Einschätzung des eigenen Metiers war so verkehrt nicht. Und konsequenterweise kam erst durch ihn, den Sohn des Genre-Pioniers Mario Bava (1914 – 1980), ein wiederholter Impuls zum Metafilmischen, zum gerade im Genre gleichermaßen heiklen wie traditionsreichen Durchbrechen der „vierten Wand“, vor dem sich die italienische Filmmoritat lange gescheut zu haben scheint, war sie sich ihrer suggestiven Kraft doch so lange Jahre stolz bewusst. Das Kino von Lamberto Bava ist die große Abschiedsparty, die für den italienischen Horrorfilm in dessen Requisitenkammer geschmissen wird, mit viel Grappa, viel Sanguinaccio und viel Gras.
Rückzug des Schmutzes
Es waren, natürlich, viele verschiedene Grüfte und Villen, die im Laufe schwieriger Jahre Bavas Filme behausten, von denen manche fürs Kino, die meisten jedoch fürs Fernsehen entstanden sind. Schwierige Jahre, in denen die nur kurz zuvor noch schwindelerregend produktive und eklektische italienische Filmindustrie langsam und nicht immer würdevoll in sich zusammensackte und, wie in anderen europäischen Ländern, auch in der BRD, für das neue System den Platz räumen musste – einem System unter der bürokratischen Herrschaft von Fernsehsendern und Fördergremien. Hier in Deutschland wie dort in Italien hat dieser prosaische Apparat sehr schnell den „Schmutz von gestern“ weggefegt und den einstigen Reichtum des europäischen Genrefilms unter sich begraben – nebst dessen Urhebern. Zwar lebte der schon immer mit besonderem Blick aufs internationale Publikum gepflegte italienische Horrorfilm nicht zuletzt dank der jungen, fluorierenden Video-Exportmärkte noch eine Weile länger als etwa einheimische Action- und Polizeifilme, Thriller, Western oder Erotikkomödien. An der Schwelle zu den 1990er Jahren jedoch konnten die kleinen, billigen Filme, zu denen man sich in Italien noch durchringen konnte, auch im Videothekengeschäft nicht mehr reüssieren. Zu umfassend war dieses inzwischen als eigenes Distributionsmodell erschlossen und mit hochwertigeren oder auch schlicht weniger verschrobenen Produktionen aus Übersee geflutet worden. Auch jene Fernsehsender, die beruflich obdachlos gewordenen Genre-Regisseuren vorübergehend eine neue Heimat geboten hatten (zweifellos unter dem Eindruck letzter Kinoerfolge und der Omnipräsenz des Horrorfilms in der Popkultur des auslaufenden Jahrzehnts), verzichteten auf weitere Experimente mit Horror für den kleinen Bildschirm. Viele erfahrene Regisseure zogen sich nach dieser finalen Zäsur aus dem Filmgeschäft zurück.
Ganz anders Lamberto Bava: Seine Karriere als Regisseur – nach fast 20 Jahren Regieassistenz für seinen Vater – erreichte ihr erstes Hoch in den frühen 1980er Jahren, also just um jene Zeit herum, als langsam prekäre Zustände in der nationalen Filmindustrie einkehrten. Wie aufreibend muss es gewesen sein, sich als Sohn eines großen Horrorfilm-Stilisten in einer sterbenden, mit Mitteln wie auch Ambitionen beharrlich geizenden Filmindustrie behaupten und ständigen Vergleichen mit dem berühmten Vater trotzen zu müssen. Bava hat selbst bescheiden eingeräumt, dass er als Filmemacher an seinen Vater und Lehrmeister nicht heranreiche und damit den überwältigenden Konsens in Kennerkreisen bestätigt, der häufig sehr unfreundliche Worte für seine Filme gefunden hat. Immer im unsinnigen Willen, dem Sohn die Schuhe des Vaters anzuziehen, und ohne jemals die Filmografie dieses Sohnes in ihrer Gesamtheit zu erfassen, sie auf eigene Werkkonstanten und ästhetische Ansätze zu untersuchen. Im Grunde wirft man Bava bis heute störrisch vor, nicht weitergeführt zu haben, was seinen Vater – in erster Linie posthum – zur Kultfigur werden ließ.
Metareflexe in der Gruselfilm-Mottenkiste
Nur wenig verbindet auf den ersten Blick die von einer dezidiert europäischen Romantik durchdrungenen Filme von Bava Senior und die in ihrem oft augenzwinkernden Gestus eher amerikanischen Sensibilitäten entsprechenden Filme seines Sohnes. In den Filmen des Jüngeren dürfen sich Untote nach dem jahrzehntelangen Schlaf in ihrem Sarg erst einmal strecken und herzhaft gähnen; da rückt das geschäftige Showbiz selbst in den Mittelpunkt, als oft unbeholfene Manufaktur jener gedämpften Ausstattungshöhlen, die für die Filme des älteren Bava einst von so großer Bedeutung waren. Und doch: In Grüfte und Gemäuer zog es auch den Sohn, der gerade im insistenten und anspielungsreichen Rückgriff auf klassische Topoi und deren Austragungsorte eine profunde Liebe zu jenem Kino offenbart, das diesen Elementen ihre beinahe mythische Anziehungskraft eingeimpft hat, weit über die Postmoderne hinaus. Der Humor seiner Filme speist sich nicht selten aus der Verwirrung des modernen, aufgeklärten Menschen, der, in eine vermeintliche Gruselfilm-Mottenkiste geworfen, mit komischem Schrecken feststellen muss, dass er sich eben nicht auf einem Filmset befindet – und sich in seiner Hasenfüßigkeit schnell als mindestens ebenso lächerlich erweist wie der Requisiten-Spuk, über den er sich noch kurz zuvor belustigt hat. Beispielhaft seien hier die Fernsehproduktionen Una notte al cimitero und A cena col Vampiro (beide 1987) genannt, in denen trotz bemerkenswert archetypischer Expositionen lange Zeit unklar bleibt, ob es sich bei den gezeigten Vorgängen nur um einen ausufernden practical joke handelt, oder nicht doch um the real thing.
Die Lust daran, beides unentwirrbar miteinander zu verknoten, ist insbesondere Bavas Fernsehfilmen inhärent, und nicht selten findet das Übernatürliche entweder eine irritierende Erdung oder aber zu einer schrillen Exaltiertheit im Kontakt mit einer multimedial entzauberten Welt, in der erst gespottet und dann gestaunt wird. In Il maestro del terrore (1988) muss sich ein Horrorfilm-Regisseur einer wüsten Attacke makabrer Streiche erwehren und erst mit einem nüchternen „Das war kein Spezialeffekt!“ seine Familie von lebensbedrohlichen Fremdeinwirkungen in Kenntnis setzen. Die Tatsache, dass Bavas Filme nicht nur immer wieder um schöpferische Prozesse kreisen, sondern sehr häufig explizit die Entstehung und Vermarktung – das Schreiben, Drehen, Schneiden, Vertonen und Vorführen – von Horrorfilmen und -literatur thematisieren, legt nahe, dass auch Bava selbst sich in der Schuld sieht, sein großes Erbe anzutreten, selbst im offensichtlichen Wissen, dass er sich dieses Erbe nur durch Metareflexe zur Gänze aneignen konnte. Bezeichnenderweise findet diese Aneignung seiner Filmografie ihren vorläufigen Endpunkt in einem bizarren Frankenstein-Revamping: In Body Puzzle (1991) ermordet ein Mann jene Menschen, denen Organe und Gliedmaßen seines tödlich verunglückten Lebenspartners transplantiert wurden, um den Geliebten wieder zusammensetzen zu können. Es sollte für einen Zeitraum von 15 Jahren Bavas letzter Kinofilm bleiben. In den 1990er Jahre wendete er sich mit überraschend großem Erfolg der Fantasy zu und inszenierte in deutsch-italienischer Ko-Produktion fürs Fernsehen Miniserien wie Prinzessin Fantaghirò (1991 – 1996) oder Der Ring des Drachen (1995), in denen er atmosphärisch wie inszenatorisch an seine fantastischen Horrorfilme anknüpfen und gleichzeitig – wie er selbst erfreut bekannte – ein wesentlich breiteres Publikum erreichen konnte.
Das Was und das Wie
Dass ihm Letzteres – bis auf wenige Ausnahmen – mit seinen Horrorfilmen kaum vergönnt war, ist neben deren weitgehend kümmerlicher Distribution und dem naturgemäß mitunter etwas schäbigen Erscheinungsbild der Filme paradoxerweise vielleicht gerade auf den Schulterschluss mit ihrer vermuteten Zielgruppe zurückzuführen. Allzu sehr setzen seine Filme voraus, dass ihr Publikum mit den Mechanismen, Gesetzen und der Ikonographie des Horrorkinos vertraut ist, dass sie keiner Erklärung, auch keiner Legitimierung mehr bedürfen, sondern selbst in der Travestie ihrer selbst weder unerkannt noch wirkungslos bleiben. Das eint ihn tatsächlich mit den Filmemachern der nouvelle vague, die sich ihrerseits der Präsenz amerikanischer Genrebilder im Kopf ihres Publikums und der Kritik so sicher waren (und es sein konnten, wie die Filmgeschichtsschreibung nachhaltig demonstriert hat), dass ihnen das mittlerweile fast sprichwörtliche „Girl and a gun“ genügte, um eine Lawine ritueller und spiritueller Assoziationen zum Cinéma bis zu triggern. Der allumfassende Genuss eines Lamberto-Bava-Films erfordert vielleicht tatsächlich ein wenig den geneigten Blick eines Connaisseurs auf das Billige, das Nerdige am Rande der Popkultur und auf dessen intime Berührungspunkte mit dem Kino.
Die Wahrnehmung von Bavas Filmen wirft andererseits aber auch die selten gestellte Frage nach den exegetischen Charakteristika des italienischen Horrorfilms auf, durch dessen Rezeptionsgeschichte sich eine teils schon obsessive Fixierung auf seine ästhetischen Attribute zieht. Freimütig gestand und gesteht man den Filmen zu, nichts Wesentliches zu erzählen und sich alleine durch ihre Form künstlerisch ausreichend zu legitimieren – was sich bei eingehender Betrachtung allerdings weniger als ein legitimes Paradigma denn als bequeme Unterstellung erweist. Vielleicht hat man dem natural born storyteller Lamberto Bava in den Fankreisen, die von jeher maßgeblich über das Renommee italienischer Genre-Regisseure entscheiden, übel genommen, dass er die dünne Haut dieser dezidiert antiintellektuellen und romantisierenden Sichtweise immer wieder mit großer Freude an der oft vulgären Egozentrik des Genres aufgebrochen hat. Das Was bei Bava wirft teilweise ein ganz neues Licht auf das Wie in den Filmen vieler seiner Kollegen. Bei ihm liegen im Haus eines vampirischen Regisseurs Horrorfilmrequisiten in ihrer ganzen mottenstichigen Pracht bei Festbeleuchtung aus (A cena col Vampiro), wächst sich die Arbeit an Horrorfilmen zum tödlichen Krieg der Eitelkeiten zwischen Drehbuchautor und Regisseur aus (Il maestro del terrore), hüllt sich die Regie ausgerechnet im Angesicht genuiner Grand-Guignol-Szenarien (Body Puzzle, The Torturer) in unbehaglichen Stoizismus, verweist die überraschende Figur einer Horrorfilm-Regisseurin dezent auf den maschilismo der italienischen Filmindustrie (La casa con la scala nel buio) und immer wieder wird der Horror-Fan mit sich selbst konfrontiert, oder, genauer: mit dem, was sein Lebensgefühl in den 1980er Jahren entscheidend mitprägte, nämlich Heavy Metal und Synthie-Klangteppiche, Horden alberner Teenies, billige Monstermasken aus Latex und unmögliche Grusel-Outfits (u. a. Dèmoni und Dèmoni 2).
Präzises Uhrwerk ohne Prachtgehäuse
Wie unmittelbar diese Filme gerade durch ihre zeitgeisternde Erscheinung an den italienischen Genrefilm der 1970er Jahre – dessen ästhetische Schlüsselreize oft ebenso sehr auf das Streben nach zeitgemäßer Konfektionierung zurückgehen wie auf das brillante Auge einzelner Filmemacher – anknüpfen, ist bis heute kaum bemerkt und untersucht worden. Dabei demonstriert ein B-Movie-Meisterwerk aus Kunstnebel und Flutlicht wie La maschera del demonio (1989) einen unbedingten Willen, dieser neuen Pop-Ästhetik neue wie alte Affektbilder und -Bewegungen des Horrorkinos abzugewinnen, gleichsam eine Fusion filmischer High- und Low-Art herbeizuführen. Nicht selten sieht man sich in den Bava-Filmen dieser Jahre einer furchtlosen Mit-Haut-und-Haaren-Apotheose der 1980er gegenüber, die sich dann und wann nostalgisch der 1960er erinnern und Bava in geistige Nähe zu amerikanischen Popkultur-Zeremonienmeistern wie Joe Dante oder John Landis rückt.
Seinem enthusiastischen Tanz auf der Türschwelle zur Postmoderne zum Trotz, hat Lamberto Bava allerdings auch immer wieder unter Beweis gestellt, dass in ihm ein Klassizist wohnt, den die Gattung nicht nur um ihrer Extravaganz und ihres Camp-Willen interessiert. Jenseits freudvollen Unfugs entfalten sich Filme wie Per sempre (1987) und Testimone oculare (1990) als homogen und konzentriert erzählte, dunkle Suspense-Miniaturen, deren Prämissen im ersten Fall dem film noir, im zweiten Fall dem Œuvre Alfred Hitchcocks entlehnt scheinen. Das im Zusammenhang mit Bavas Filmografie vielfach empfundene Missverhältnis zwischen Ambition und Mitteln rückt angesichts der unaufdringlichen Würde und handwerklichen Sicherheit, mit der Bava dagegen aninszeniert, in den Hintergrund. Ein Uhrwerk, das besagen gerade diese Filme, braucht kein prächtiges Gehäuse, um präzise zu laufen. Beide Filme ziehen einen beträchtlichen Teil ihres Reizes aus ihren entwurzelten Figuren, die sich – auch das eine Urszene des Thrillers – zur falschen Zeit am falschen Ort wiederfinden. Und wäre Blastfighter (1984) ein Welterfolg beschieden gewesen, Bava hätte sich vielleicht auch zu einem Action-Auteur entwickeln können. Das aufwändig produzierte Backwoods-Rachedrama ist tatsächlich kaum weniger souverän und sehnig inszeniert als seine Vorbilder, Peckinpahs Straw Dogs (Wer Gewalt sät, 1971) und Ted Kotcheffs First Blood(Rambo, 1981).
Wir haben Lukas Foerster, Michael Kienzl, Christopher Klaese, Maurice Lahde, Oliver Nöding, Kurt Karate, Sven Safarow, Silvia Szymanski,Robert Wagner und Florian Widegger eingeladen, sich im Rahmen eines kleinen Specials anhand ausgewählter Filme auf die Suche nach der Stimme und dem Stil, den Schrullen und Leidenschaften von Lamberto Bava zu begeben – in der Hoffnung, den ein oder anderen neuen Blickwinkel auf ein umfangreiches, aber bisher nur willkürlich-selektiv wahrgenommenes Gesamtwerk freizulegen.
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